Obwohl die Deutsche Kaukasusexpedition nur einige Monate in Georgien blieb, war der Sommer 1918 eine Zeit vieler gemeinsamer georgisch-deutscher Ideen, Aktivitäten und Hoffnungen. Deutschland verfolgte in Georgien eigene Interessen und zog daher verschiedene Initiativen im Kontext der eigenen Außenpolitik in Erwägung. Auch Georgien hatte eigene Pläne und hoffte auf die Unterstützung und den Schutz eines starken Staates in seinen Innen- sowie außenpolitischen Angelegenheiten. So war der Boden bereitet für neue georgisch-deutsche Projekte im sozialen Bereich, in Kultur und Bildung.

Die in Georgien lebenden Deutschen erfüllten sich in dieser Zeit ihren langjährigen Wunsch und gründeten das Deutsche Realgymnasium von Tiflis, selbstverständlich mit Unterstützung der Deutschen Kaukasusexpedition und der georgischen Regierung.Die deutsche Seite eröffnete das Deutsche Militärkrankenhaus in Tiflis, von dessen Gründungsgeschichte wir in einem anderen Beitrag berichten werden. Die Zusammenarbeit zwischen den zwei Ländern fand jedoch nicht nur auf Regierungsebene statt. Politisch und gesellschaftlich engagierte Bürger zeigten Initiative und gründeten 1918 die Georgisch-Deutsche Kulturgesellschaft, deren Vorhaben sehr weit in die Zukunft hineinreichten.

Viele dieser Projekte, die mit großen Hoffnungen initiiert worden waren und verschiedene Ziele verfolgten, wurden entweder sofort nach dem Abzug der Kaukasusexpedition oder später wegen der bolschewistischen Okkupation gestoppt; nur einige wenige konnten bis zum Ende der 1920er Jahre weiterbestehen. Doch auch diese konnten dem Druck der Sowjets (die häufig offen anti-deutsch war) nicht standhalten.

Einen kleinen Teil dieses kulturell-gesellschaftlichen Mosaiks, das in den Jahren 1918–1921 entstand, bildete die 1918 gegründete Deutsch-Georgische Handelskammer, über die wir zwar nicht viel wissen, aber was wir wissen, für erzählenswert halten.

Die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen spielten eine wichtige Rolle in den georgisch-deutschen Beziehungen. Außer am Warenaustausch und Handel war Deutschland auch an Bodenschätzen und anderen Rohstoffen interessiert. 1918 kam zusammen mit der Deutschen Kaukasusexpedition auch die Wirtschaftsabteilung nach Tiflis und ließ sich in der Griboedov-Straße 18 nieder. Die Wirtschaftsabteilung war für den Warenaustausch zwischen den beiden Ländern zuständig. In deutschen Archiven sind interessante Berichte erhalten, die von der Wirtschaftsgruppe der Expedition vorbereitet wurden und das Potenzial Georgiens für Wirtschaft und Handel beschreiben.

Auf deutscher Seite war Thilo von Westernhagen in Fragen der Wirtschaft und des Warentauschs leitend. Er war gekommen, um die Angelegenheiten des Ölkartells in Österreich-Ungarn und Deutschland und allgemein des Exports verschiedener pflanzlicher Öle zu regeln. Vor dem Krieg war er in Paris und London im Ölgeschäft tätig gewesen, während des Krieges lebte er in New York. Im Allgemeinen hatte Westernhagen in Wirtschaftskreisen einen guten Ruf.[1] Die Verhandlungen auf Regierungsniveau verliefen mehrgleisig. Auf Anordnung des Außenministeriums hin wurde im Rahmen dieser Zusammenarbeit der „Ausschuss zum Warenaustausch zwischen Georgien und Deutschland“ gegründet, in dem das Mitglied des Nationalrats Petre Surguladze die Interessen Georgiens vertrat [2]. Der Ausschuss hatte die Absicht, sich mit den Handelsfragen zwischen Georgien und Deutschland auseinanderzusetzen. Dabei waren der stellvertretende Handels- und Wirtschaftsminister Giorgi Nikoladze, der Händler Alexandre Jabadari (der zugleich auch Vorsitzender der Vereinigung der Tifliser Händler und Wirte war) und ein gewisser Gogebaschwili von den Kooperatoren[3].

Ausser der deutschen Wirtschaftsdelegation und dem Ausschuss für den Warenaustausch gründeten die Vertreter der Gesellschaft im Juli 1918 auch die Deutsch-Georgische Handelskammer. Am 30. Juli wurde auf der Mitgliederversammlung der Rat der Wirtschaftskammer gewählt: Konstantine Abkhazi, Sohn von Dimitri, E. A. Wakano, Razhden Dateschidse, Alexandre Jabadari, Giorgi Ewangulow, Nikoloz Ioseliani, R. K. Kaiser, A. A. Kavtaradse, Iason Lortkipanidse, O. G. Mazmanow, Juri Paghawa, Mikheil Sumbataschwili, Artem Seilanow, P. I. Sosin, W. O. Ter-Zakharow, Nikoloz Tswerawa, Akaki Khoschtaria, G. G. Schadinow, I. M. Strang. Zum Vorsitzenden wurde Akaki Khoschtaria ernannt, zu seinen Stellvertretern Konstantine Abkhazi, Giorgi Ewangulow, Mikheil Sumbataschwili, Artem Seilanow sowie D. A. Korkia zum Geschäftsführer.[4]

Das Ziel der Arbeit der Deutsch-Georgischen Handelskammer war die wirtschaftliche Annäherung Georgiens und Deutschlands anhand ihrer Handels- und Wirtschaftsinteressen. Um dieses Ziel zu erreichen, plante die Handelskammer, ständigen Kontakt mit den Handels- und Wirtschaftsorganisationen im Kaukasus sowie mit den Handels- und Wirtschaftsbehörden Georgiens zu halten. Außerdem sollten der georgischen Regierung die Handels- und wirtschaftlichen Interessen sowohl der Gesellschaft als auch privater Einrichtungen nahegebracht werden. Die Handelskammer beabsichtigte, thematische Publikationen herauszugeben und eine Handels- und Wirtschaftsstatistik zu erstellen. Des Weiteren plante sie Wettbewerbe von Exportwaren, Dauer- und Wechselausstellungen und gegebenenfalls die Gründung von Museen und speziellen Bibliotheken.

„Wie der Satzung zu entnehmen ist, hat die kürzlich gegründete Handelskammer zum Ziel, sehr nützliche und notwendige Maßnahmen zugunsten unseres Landes durchzuführen. Wir wünschen ihr, sie möge ihre ersten Schritte fest und liebevoll tätigen, damit sie erwünschte Früchte tragen zum Wohl unserer Republik und zum Gedeihen seiner wirtschaftlichen Lage“[5], schrieb die Zeitung „Sakhalkho sakme“ (Volksangelegenheiten) im August 1918.

Im August war die Entsendung einer deutschen Handels- und Wirtschaftsdelegation geplant. Unter der Delegierten war auch Mikheil Sumbataschwili, der zugleich Mitglied der Deutsch-Georgischen Handelskammer war. Der Ausschuss für den Warenaustausch hatte verschiedene Kandidaten für die Delegation. So schlug der Ausschuss beispielsweise dem Verein der Apotheker vor, einen eigenen Kandidaten für die Delegation zu stellen, der solle in Deutschland Medikamente auswählen und anwerben. Allgemein verdient die Zusammensetzung der Delegation eine gesonderte Erforschung ihrer Mission und ihrer Entsendung. Das werden wir für die Zukunft aufheben. Es ist offensichtlich, dass die Deutsch-Georgische Handelskammer aktiv involviert war in die Handels- und Wirtschaftsgeschäfte, die damals im Lande zu beobachten waren.

Sumbataschwili hatte für Deutschland eine besondere Mission: er hätte auf Auftrag der georgischen Regierung hin den Handels- und Wirtschaftskreisen Deutschlands von der wirtschaftlichen Lage und dem Potenzial Georgiens berichten sollen. Gleichzeitig musste er die Besonderheiten des Marktes in Deutschland sowie die Bedingungen für den Warenaustausch studieren und, was am wichtigsten war, „in Berlin eine Deutsch-Georgische Handelskammer gründen, die zur Annäherung beider Länderauf Grundlage der Handels- und Wirtschaftsinteressen beitragen würde.“ [6] Solch weitgehende und ambitionierte Pläne wurden hinsichtlich der Zusammenarbeit der beiden Staaten geschmiedet.

Die deutschen Interessen in den Wirtschafts- undHandelsbeziehungen sahen viele skeptisch und kritisierten sie. Thilo von Westernhagen mußte nicht nur den Rahmen der Zusammenarbeit festlegen, sondern diese auch sehr detailliert kommentieren und erklären, um die Zweifel zu zerstreuen. So veröffentlichte z.B. die einzige deutschsprachige Zeitung im Kaukasus, die „Kaukasische Post“ in ihrer Ausgabe #53 vom 11. September 2018 ein Interview mit Westernhagen. Darin beantwortete er die Fragen des Zeitungsredakteurs und erläuterte, die Deutschen seien nach Georgien gekommen, nicht um die Ressourcen des Landes auszuführen und das Land arm zurückzulassen, wie es die damaligen Feinde Deutschlands darstellten, sondern um eine Zusammenarbeit und Initiativen ins Leben zu rufen, die auf beiderseitigen Interessen beruhten und zum Frieden in der Region beitragen würden. Seiner Meinung nach war Georgien ein grenzenlos reiches Land, was die Fruchtbarkeit des Landes und seine Bodenschätze betraf, und dieser Reichtum könne jeder Schicht der Gesellschaft Wohlstand bringen. Gerade an Bodenschätzen war Deutschland interessiert und versprach, dafür im Gegenzug Georgien mit Produkten zu beliefern (Warenaustausch), die das Land zum Existieren brauchte.

Westernhagen versicherte, dass alle Produkte, die Georgien brauchte, in Deutschland erhältlich waren oder produziert werden konnten, denn deutsche Fabriken hätten auch im Krieg nicht aufgehört zu funktionieren. Er war der Meinung, dass Georgien diese Fabriken mit Rohstoffen beliefern konnte. Er schätzte die politische sowie die wirtschaftliche Lage der kaukasischen Region nicht als verlässlich ein und hielt die Gründung einer deutsch-kaukasischen Handelsbank für ein wichtiges Instrument für den ungestörten Verlauf der Zusammenarbeit.[7] Die Geschichte der deutsch-kaukasischen Bank werden wir unseren Lesern im Laufe des Jahres erzählen.

„Niemand kann der Tatsache widersprechen, daß die Zukunft Georgien ein brillantes Schicksal verspricht“, sagte Thilo von Westernhagen am Ende des Zeitungsinterviews. Die Stimmung war wahrlich optimistisch und nach dem intensiven Sommer sogar feierlich. Warum auch nicht? Es wurden doch so viele Projekte angeregt, die Grundlagen für die Zusammenarbeit gelegt und eine Reihe neue Initiativen ins Leben gerufen… Im Realgymnasium von Tiflis, das am 15. Oktober gegründet wurde, hatte das Schuljahr angefangen. Der erste Jahrgang bestand aus 33 Schülern. Die georgisch-deutsche Kulturgesellschaft versuchte eine breite Palette an Bildungsaktivitäten zu entfalten und die Handels- und Wirtschaftskontakte gewannen an Kraft.

Am 27. Oktober fand eine weitere gemeinsame Veranstaltung statt:

„Am Sonntag, dem 27. Oktober, um 12.00 Uhr findet das erste georgisch-deutsche Konzert unter der Leitung des georgischen Armeechorleiters und Hauptchormeisters K. Potskhweraschwili statt.Nach dem Auftritt der Musikband wird das zahlreich besetzte georgisch-deutsche Orchester (mit 100 Personen) unter der Leitung des Chormeisters K. Potskhweraschwili hervorragende Stücke georgischer Armeemusik spielen. Unter anderem werden alte georgische Hymnen, Jamben, Munasibe, Loblieder und andere vorgetragen. Auf dem Programm steht auch die georgische Hymne mit Orchester, Laschkruli, ein georgisches Volksgebet, der Freiheitsmarsch, die Armasi-Hymne aus der Oper „Sturz der Idole“ und andere. Am Ende wird ein wunderbarer Höhepunkt dargeboten: es wird das Bild des Denkmals vom freien Georgien errichtet“ – schrieb die Zeitung Sakhalkho Sakme (Nr. 367).

Die Ideen für die Zukunft, für eine aktive, multidisziplinäre Zusammenarbeit und die feierliche Stimmung wurden durch die Niederlage Deutschlands im 1. Weltkrieg beendet. Im November begannen die deutschen Truppen mit dem Abzug aus dem Kaukasus. Die ein paar Monate zuvor mit großem Enthusiasmus gegründete georgisch-deutsche Kulturgesellschaft hörte vorübergehend auf zu existieren.

Was die Deutsch-Georgische Handelskammer betrifft, wissen wir im Moment nur, dass ihre Vertreter im September 1918[8] auf Initiative der deutschen Delegation zusammen mit den Vertretern des deutschen Wirtschaftskomitees an der Arbeit des Vorbereitungskomitees für den Ausschuss des Warenaustauschs beteiligt waren. Das Vorbereitungskomitee war beauftragt worden zu erörtern, welche und wie viele Waren zu welchem Preis aus Georgien exportiert und welche Ware nach Georgien importiert werden sollten.

Nach November waren die Bedingungen für mit Deutschland verbundene Initiativen in Georgien und im ganzen südlichen Kaukasus ungünstig geworden. So hat höchstwahrscheinlich auch die Deutsch-Georgische Handelskammer ihre Arbeit aufgegeben. Vom Warenaustausch oder anderen großen Projekten war nicht mehr die Rede. Nur das Deutsche Gymnasium von Tiflis und das Deutsche Kriegskrankenhaus funktionierten vorübergehend noch weiter.

P. S. Eine gründlichere Erforschung der georgisch-deutschen sozialen, kulturellen und Bildungstätigkeiten und Projekte werden wir den Lesern 2021 in dem Sammelband „Georgisch-Deutsches Mosaik 1918-1921) anbieten, an dem das Soviet Past Research Laboratory zusammen mit seinen Partnerorganisationen arbeitet.


[1] Sakartwelos respublika, # 41, 13.09.1918 S. 3

[2] Sakartwelos respublika, # 5, 30.07.1918

[3] dort weiter

[4] dort weiter

[5 ] Sakartwelos respublika, # 19, 17.08.1918

[6] Sakartwelos respublika, # 5, 30.07.1918

[7] Sakartwelos respublika, # 55, 02.10.18

[8] Sakartwelos respublika, # 38, 10.09.18


Anna Margvelashvili
24.01.2020

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